Das Atom war stets feundlich zu mir

Japan steht vor einer atomaren Katastrophe. Durch das Erdbeben mit einer Stärke von 8,9 kam es binnen weniger Stunden zu einer Kernschmelze in einem der zehn Reaktoren im Kernkraftwerk Fukushima 1, dem Herzen von Japans Atomindustrie. Schuld daran ist der Ausfall der Stromversorgung, die für das Kühlsystem des Wasser-Dampf-Kreislaufs notwendig ist. Somit überhitzt der Reaktorkern und die Brennstäbe werden beschädigt. Die Folge ist eine Kernschmelze. Fukushima 1 erwartet nun, 3 Tage nach der Tragödie, die 2. bzw. schon 3. Kernschmelze nach dem Beben. Die Folgen werden schon jetzt mit denen in Tschernobyl verglichen.

Fukushima liegt etwa 240 Kilometer nördlich von Tokio. Ihr Atomkraftwerk (AKW) ist seit 1970 in Betrieb. In direkter Umgebung leben ca. 3000 Menschen, wenn man aber etwas weiter landeinwärts geht, kommt man schon auf eine Zahl von über 140.000 Einwohner. Am 12.03.11 begann – laut der New York Times und dem SPIEGEL – die Evakuierung aller im Umkreis lebenden Einwohner.
In meiner Suche nach Informationen über Fukushima 1 kam ich zu einigen interessanten Ergebnissen:
  • Der Betreiber, TEPCO, ist Asiens größter Energieerzeuger. Der Konzern verfügt über eine Stromerzeugungskapazität von insgesamt 62,7 Millionen Kilowatt. Vehement setzten sie sich nach dem Beben dafür ein, Japan in drei Sektoren aufzuteilen und jeweils den Strom für drei Stunden am Tag auszuschalten.
  • 2002 kam es zur Veröffentlichung der AKW- Berichte des Betreibers, die die Sicherheitsmaßnahmen und Inspektionen behielten. Jedoch waren diese gefälscht. TEPCO (Tokyo Electric Power Co. Inc.) nannte als Grund die hohen Kosten für Inspektionen.
  • TEPCO plant seit Jahren einen Ausbau des AKW um weitere Siedewasserreaktoren. Diese Planungen verschoben sich jedoch immer wieder, da es 2007 zu einem verheerenden Unfall kam, der jedoch vertuscht wurde. Was genau geschah ist bis heute ungewiss.
  • TEPCO gab – laut des Wallstreet Online Magazines – ebenso 2007 bekannt, „dass Mitarbeiter in diesem Werk im Jahr 1978 gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen haben“.
  • TEPCO versucht alles daran, die Vorfälle an ihrem AKW Fukushima 1 unter Verschluss zu halten und so wenige Informationen wie möglich nach Außen zu lassen. Experten sprechen schon jetzt von einem Super-Gau, TEPCO jedoch von einem „Patzer“. Andererseits lässt sich auch damit argumentieren, dass der Konzern zur Zeit einfach hilflos und ratlos ist, ebenso wie die japanische Regierung.
Die Liste lässt sich ewig weiterführen. Es sind eben nicht nur die aktuellen Vorfälle, sondern eine Reihe von negativen Ergebnissen, die sich seit 1970 ereigneten.
Bevor ich weiter auch Fukushima und ihre Folgen eingehe, möchte ich einmal kurz erläutern, was ein Kernkraftwerk überhaupt ist, und warum man immer in der Zeitung liest, dass die Grünen dagegen sind und unsere Bundeskanzlerin eine Verlängerung der Laufzeiten durchsetzen wollte und es schließlich schaffte.

Ich sehe davon ab, auf die physikalischen Grundlagen einzugehen. Dennoch ist erwähnenswert, dass Kernkraftwerke im Jahre 2009 weltweit rund 13% des gesamten Strombedarfs gedeckt und gleichzeitig klimawirksame Emissionen von etwa 2,5 Mrd. t CO2 vermieden haben.

Ende letzten Jahren waren weltweit in 30 Ländern insgesamt 437 AKWs in Betrieb. In Deutschland besitzen wir 19 AKWs und keine weiteren in Bau. Zum Vergleich: China besitzt 11 AKWs in Betrieb, weitere 20 sind in Bau. Japan hingegen besitzt 54. Wichtig ist auch zu erläutern, in welchen Ländern AKWs stehen: Es geht von Armenien, Argentinien über Bulgarien und Pakistan, von Frankreich, Indien, Iran, Russland nach Ungarn und Taiwan.
Die Leistungsstärksten AKWs, also die mit der höchsten Stromproduktion befinden sich zumeist in Deutschland (Isar-2, mit E.on Kernkraft als Betreiber) und in der USA (Palo-Verde-1).

Ein bekanntes Fachmagazin, das BWK vom Springer Verlag, spricht in ihrer Mai 2010 Ausgabe von der Kernenergie mit folgenden Worten: „Als klimaschonende, preisgünstige und versorgungssichere Komponente und Option für die künftige Energieversorgung hat Kernenergie in den vergangenen Jahren wieder an Bedeutung gewonnen.“
Weiter: „Bei der Versorgungssicherheit sind als positives Argument die auf allen Kontinenten verfügbaren Uranreserven zu nennen, die zum Beispiel die Abhängigkeiten von einzelnen Regionen oder Staaten bei der Kernbrennstoffversorgung vermeiden.“
Ebenso ist es Fakt, dass AKWs eine sehr gute Kohlendioxid- Bilanz haben. Um den Ausstoß der Treibhausgase durch Atomkraft bis 2050 aber zu halbieren, müssten die Anzahl der Atomkraftwerke weltweit verdreifacht werden.Einige weitere wissenswerte Argumente: 

  • Seit Tschernobyl gab es keinen ernsten Unfall mehr, und das bei weltweit über 400 AKWs.
  • Das Risiko einer Gefährdung für den Menschen ist gering (siehe Unfallrisiko).
  • Die Bereitstellung von Atomstrom ist wesentlich günstiger als die Bereitstellung von Kohlestrom.
  • AKWs können gigantische Mengen an Energie gewinnen.
  • (AKWs in Deutschland sind die am sichersten weltweit.)
Gegenargumente lassen sich auch zu Hauf finden: Laut der Frankfurter Rundschau geht eine Studie vom Flensburger Uniprofessor Olav Hohmeyer davon aus, dass bereits in zehn Jahren die erneuerbaren Energien einen Anteil an der Stromproduktion von 50% erreichen (selbst die Bundesregierung spricht von 40% nach zehn Jahren!). Ergo muss der Atomstrom aus unseren AKWs in das Stromnetz integriert werden und dementsprechend sogar häufiger abgeschaltet werden, was wiederum zu hohen Verschleiss und damit zu hohen Kosten führen wird. Die selbe Studie kommt zu dem Fazit: „Die Laufzeitverlängerung provoziert ohne Not eine der größten wirtschaftlichen Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit“. Wie kommt sie zu diesem Ergebnis?
  • Wind und Sonne werden in Zukunft immer häufiger die Stromnachfrage decken
  • durch kurzfristige AKW Abschaltungen müssen die Konzerne auf Gewinne in Höhe von 20 – 80 Milliarden Euro verzichten
  • um dem zu entgehen, werden die Atomkonzerne Gegenmaßnahmen einleiten:
    • der gesetzlich geregelte(!) Ökostrom- Vorrang muss abgeschafft
    • und der Ausbau erneuerbarer Energien begrenzt werden
    • ökologische Energiewende soll verzögert werden
Obwohl ich die Sicherheit für den Menschen bei Pro platziert habe, lässt sie sich auch hier einfügen. Die Sicherheit eines AKW wird anhand der INES- Skala (International Nuclear Event Scale) bewertet. Die Skala geht dabei von 0 – 7.
Tschernobyl ist bei Stufe 7 (Katastrophaler Unfall) gesetzt, der Unfall in Fukushima 1 wird von Experten zur Zeit auf 4 geschätzt. Zum Verständnis: Sicherheit wird hier aber bis 5 verstanden. D.h. erst eine Unfalleinschätzung in Stufe 6 und 7 gilt als Sicherheitsgefahr für den Menschen. Ipso facto kommen Experten zu dem Ergebnis, dass es keine Gefahr für den Menschen gibt.Ich habe recherchiert was unter Stufe 4 überhaupt fällt, also wovor wir uns überhaupt nicht sorgen müssen. Folgendes Ergebnis: 

  • Geringe Freisetzung
  • Strahlenexposition der Bevölkerung in Höhe eines Bruchteils der natürlichen Strahlenexposition
  • akute Gesundheitsschäden
  • schwere Strahlenbelastung
Laut einer aktuell vorgenommenen Studie von amerikanischen Atomkraftexperten, wird der Vorfall in Fukushima 1 bereits jetzt auf Stufe 6 geschätzt, was nach der INES- Skala bedeutet: Voller Einsatz der Katastrophenschutzmaßnahmen. Ein Beispiel wäre da die Kerntechnische Anlage Majak (damals: UdSSR) aus dem Jahre 1957. Nach einer Explosion wurden 20.000 km2 mit etwa 270.000 Einwohnern radioaktiv belastet. Dazu muss erwähnt werden, dass in mehreren hundert Kilometern Umgebung kaum Menschen lebten.
Es sind einige stark wiegende Argumente, die gegen AKWs stimmen. Es gilt als Selbstverständlichkeit, dass im laufenden Betrieb eines AKW manchmal Unfälle passieren, bei denen Radioaktivität in die Umwelt gelangt. Ebenso existieren einfach keine Lagermöglichkeiten, um stark radioaktiven Müll für Jahrhunderte sicher von der Umwelt zu trennen. Dennoch muss eingesehen werden, dass es zur Zeit keine ernstzunehmende Konkurrenz, d.h. Ökostrom gibt. Ökostrom ist zu teuer, vielleicht auch noch zu riskant, vielleicht fehlt einem das Verständnis, warum Atomenergie überhaupt staatlich subventioniert wird. Durch Atomstrom bekommen wir den größten Output, und er bleibt dabei sogar preislich bezahlbarer als Ökostrom. Allgemein geht es also darum, ob die Kernenergie eine langfristige Rolle im Energiemix spielen darf oder nicht.
Mir geht es aber nicht um eine Auflistung einiger Argumente für und gegen AKWs, sondern um die grundsätzliche Frage der Gefahr für jeden Menschen bei einem solchen Super- GAU, wie wir ihn momentan in Japan miterleben. Dabei möchte ich zwei Argumente vorwegnehmen, denen meines Erachtens die größte Bedeutung geschenkt werden sollte:
  • Ein Erdbeben darf nicht als Ausnahme abgestumpft werden, sondern sollte als ein möglicherweise regelmäßig auftretenden Fall beachtet werden; Erdbeben sind auf den meisten Kontinenten möglich, und überall verstreut finden wir laufende AKWs, die meistens sogar mit ganz unterschiedlichen Sicherheitsmaßnahmen geregelt sind.
  • Es gibt kein Vertrauen, dass im Kriegsfall Kernreaktoren von Zerstörung ausgenommen werden.

In einem interessanten Aufsatz über Kernenergie und regenerative Energien der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, fand ich den Hinweis zur Uni Bremen, die in einer Studie vor „liberianischen Verhältnissen“ warnten. Nach längerer Suche fand ich die von Prof. von Ehrenstein durchgeführte Studie. Dabei sind mit liberianischen Verhältnisen Länder gemeint, in denen man großzügiger umgeht mit Gefahren, schon von der Kultur her. Wieder andere Länder sind arm, so dass ganz andere Sicherheitskriterien gelten.

In Japan wurden die Sicherheitsmaßnahmen für laufende AKWs im Jahre 2006 erhöht. Nach einem Erdbeben sollten die AKWs nicht mehr Beben mit einer Stärke von 7,3 aushalten können, sondern nun 8,2. Aber wer rechnet schon mit einer Bebenstärke von 8,9? Damit sind wir beim größten Problem. Es gibt keine Möglichkeit Gefahren auszuschließen, die man nicht ausschließen kann.

Die Gefährdung von AKWs durch potentielle Anschläge und Terror wird in der politischen Debatte gerne verdrängt. Im März 2003 schrieb die Süddeutsche Zeitung: „Keiner der 19 deutschen Atommeiler ist so gegen einen Flugzeugabsturz gesichert, dass eine Atomkatastrophe als Folge ausgeschlossen werden kann“. Acht Jahre später soll sich das gravierend verändert haben, so die Bundeskanzlerin, aber gab es jemals einen Test unter möglichen Verhältnissen?
Gestern schrieb die Wiener Zeitung, das laut Gerald Duma, dem Vize- Leiter des Erdbebendienstes der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik „eine Vorhersage von Erdbeben nicht möglich“ sei. „Zwar werde sehr viel gemessen und beobachtet (…), zuverlässige Vorhersagemodelle gebe es aber noch nicht.“ Auch was die Stärke eines Beben angeht, ist eine Prognose fast unmöglich. Ebenso ist eine örtliche Beschränktheit nicht möglich. In Österreich sei ein Beben dieser Stärke (8 aufwärts) aufgrund der tektonischen Beschaffenheit nicht möglich. Dass es sich in anderen Ländern ebenso verhält ist aber nicht vorhersehbar und somit ist es obskur davon auszugehen.
Wer gibt uns eine Sicherheit dafür, dass AKWs in Argentinien, China, Iran, Kanada, Südkorea, Pakistan, Taiwan oder Ungarn absolut sicher seien? Wie können wir davon ausgehen, wenn selbst schon in Japan nichts sicher geregelt ist, dort, wo fast 30% aller verkauften Kraftfahrzeuge weltweit herkommen und unser Kühlschrank und unsere Mikrowelle ihre Herkunft haben? Instinktiv schenke ich den japanischen Sicherheitsmaßnahmen mehr vertrauen als den Pakistanischen oder Taiwanischen. Versichern kann mir das aber niemand, da es sehr schwer ist, an die gegebenen Sicherheitsmaßnahmen weltweit laufender AKWs heranzukommen.
Angela Merkel gab am 12.03.11 in einem Interview bekannt, dass selbst Deutschland vor solchen Katastrophen nicht ausreichend gesichert sei. Dass sei unmöglich. Das ist wahr.
Heute Abend spricht man in der Presse schon von 15.000 Toten und katastrophalen Folgen durch die Schäden an Fukushima 1. Selbst japanische Atomexperten sprechen es nun aus, dass es zumindest schon zu einer Kernschmelze gekommen sei und dass weitere Explosionen unausweichlich seien. Im Innern der Atomkraftwerks gebe es keine Kontrolle mehr. Nun habe man Meerwasser zur Kühlung eingelassen – was das aber für Folgen hat, bleibt erst einmal im dunkeln.
Man muss sich begreifbar machen: Wenn es wirklich schon zu einer einzigen Kernschmelze kommt, ist mindestens ganz Japan verstrahlt. Somit Auch Tokio. Zusätzlich befinden sich derzeit drei weitere AKWs auf „akuten Gefahrenzonen“, d.h. absolut Erdbebengefährdet – wer kann das verantworten?

Trotz aller Auswirkungen – die Welt muss sich nun einmal gemeinsam fragen, wie sehr sie Gefahren wirklich beherrscht.


Nachweise: New York Times, SPIEGEL, Süddeutsche Zeitung, Wiener Zeitung, Frankfurter Rundschau, disputatio, Greenpeace, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Uni Flensburg. (wer genauere Nachweise haben möchte, kann sich gerne melden.)